Gut gelaunt auf dem Weg in den Hitzetod – Gedanken über die anstehende Umgestaltung der Rheinallee und Boppards Zukunft

Das Titelbild dieses Beitrags, aufgenommen am 19. Juli des Jahres um 14:52 Uhr, zeigt auf den ersten Blick eine ganz normale Situation in Boppard. Ein Sommertag mit Touristen am Rheinufer, die auf ihr Schiff warten, das sie gleich auf einen Ausflug ins Rheintal mitnimmt. Der ein oder andere Leser würdigt das Foto daher vielleicht einer kurzen Betrachtung und widmet sich dann dem nächsten Artikel der Zeitung. Auf den zweiten Blick offenbart das Foto aber, wie stark der Klimawandel bereits in Boppard angekommen ist und dass sich unsere Stadt in eine bedenkliche Richtung entwickelt. Am Tag der Aufnahme herrschten neben Dürre 38° C im Schatten – und genau diesen suchten wann immer möglich all jene auf, die draußen unterwegs waren.

Üppige Stadtbäume und begrünte Flächen sind in Boppard an vielen Stellen so rar, dass dort nur noch Gebäude vor der Sonne schützen können. Und fatalerweise wird nicht nur privates, sondern auch öffentliches Grün bilanziell immer weniger, vergleicht man zum Beispiel das Burgumfeld, den Marktplatz, den Karmeliterplatz, den Vorplatz des Karmeliterklosters und des Krankenhauses oder den Remigiusplatz mit alten Fotos. In den letzten 70 Jahren hat allein der innerörtliche Bereich der Bopparder Kernstadt – in seiner damals noch kleineren Ausdehnung – eine mindestens dreistellige Zahl Bäume verloren. Diese sich fortsetzende Entwicklung beobachten immer mehr Bürger mit Sorge, weshalb auch zunehmend Kritik in Form von Leserbriefen, Petitionen und Bürgerinitiativen gegen die Zerstörung von Bäumen, Landschaft und intakten Biotopen zutage tritt (Stichwort: Mehrgenerationenpark und Eisenbolz/Dammigbach).

Denn wir sind in jeglichen wesentlichen Belangen auf Grün angewiesen: Es bindet Treibhausgase und minimiert die unerwünschten Klimawandelfolgen, es schafft Schatten, Kühle, gesunde Luft und Biotope und es ist Voraussetzung für ein Stadtbild, das als schön und lebenswert wahrgenommen wird (man stelle sich hierzu im Umkehrschluss einmal die Kurfürstliche Burg, die Niedersburg oder den Unteren Marktplatz ohne ihre jeweilige große Linde vor). Dr. Jörn Schultheiß von der Hochschule Geisenheim gab dem Publikum in seinem Vortrag zur kommunalen Klimaanpassung vom 27. Oktober im Bopparder Museum eine Orientierungsgröße mit auf den Weg: Mindestens 50 % der Fläche eines städtischen Platzes sollten begrünt sein! Das gelingt nicht nur durch Baumpflanzungen, sondern auch begrünte Pflasterfugen und Fassaden, Beete und Hecken, Pergolen und Rankgerüste. Ebenso kommt dem Faktor Wasser, zum Beispiel offenen Bachläufen, Brunnen oder dem „Schwammstadtprinzip“ eine wachsende Bedeutung zu, zumal wir uns immer weniger darauf verlassen können, dass der Rhein stets genügend Wasser führt und unser Kleinklima reguliert.

All das dürfte mittlerweile bekannt sein – sollte man meinen. Visionäre Großstädte machen es vor, auch Emmelshausen plant jetzt die deutliche Begrünung des Marktplatzes mit großen Beeten und 17 neuen Bäumen. In der Frage, welche Methoden angewandt werden müssen, damit Boppard in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein angenehmer Wohnort und beliebtes Reiseziel bleibt, sind „Richtig“ und „Falsch“ ausnahmsweise klar definiert und spätestens seit der 2021 veröffentlichten Studie „Kommunale Klimaanpassung im Welterbe Oberes Mittelrheintal“ wissenschaftlich unstrittig. Die Lektüre dieser Studie, die sich ganz konkret mit Fallbeispielen aus Boppard beschäftigt und uns Handlungsempfehlungen aufzeigt, kann nur jedem ans Herz gelegt werden. Sie ist im Internet unter dem Link www.hs-koblenz.de/klimaanpassung verfügbar.

Leider sieht es momentan danach aus, dass bei der Umgestaltung der Rheinallee kaum etwas davon berücksichtigt wird und die Skepsis vieler Bürgerinnen und Bürger berechtigt ist. Zumindest dann, wenn der Stadtrat und die Verwaltung nicht ganz erheblich nachsteuern. Seit der Hauptausschusssitzung vom 6. Dezember ist publik, dass sich jenes Berliner Planungsbüro, welches im Frühjahr den 1. Wettbewerbspreis gewonnen hatte, als einziger Bieter um die Realisierung der Umgestaltung beworben hat und nun den Auftrag zur Umsetzung erhalten soll. Den Wettbewerbsentwürfen konnte man entnehmen, dass dieses Büro im Bereich zwischen Karmeliterkirche und Rheinufer 29 (!) Bäume zur Fällung (bei lediglich zehn geplanten Neupflanzungen mit äußerst kleinen Baumscheiben) und hunderte Quadratmeter zur Neuversiegelung (!) vorgeschlagen hat. Ersatzlos wegfallen sollen dann auch die einzeln eingefassten Bäume vor dem KD-Kiosk und an der Einmündung der Bahnhofsstraße, welche die Baumreihen zu einer in sich geschlossenen Allee verknüpfen. In der Mittleren Rheinallee würde weiterhin ein zwar wassergebundener, aber steinerner Belag (Splitt/Kies) auf den bislang als Parkplätzen genutzten Flächen zwischen den Alleebäumen dominieren, anstatt dort die Chance zu nutzen und den Grünanteil der nicht gastronomisch genutzten Bereiche mithilfe niedriger Bepflanzung zu erhöhen.

Unsicher ist auch der Erhalt stadtgeschichtlich bedeutsamer Objekte wie der Uferauskragung des früheren mittelalterlichen Rheinkrans oder der historischen Brüstungsmauer des Karmeliterplatzes. In den Oberen Rheinanlagen würden gemäß der ausgestellten Planung erhaltenswerte und gern angenommene Elemente wie das Freischach, der Ritter-Schwalbach-Brunnen, die Rosenbögen samt den drei Rondellen und die entlang der mächtigen Bäume am Musikpavillon verlaufenden Mittelwege verschwinden. Das wäre kein Fortschritt, sondern ein gravierender Verlust von reihenweise gut durchdachten Bestandteilen, die zu Boppards Vielseitigkeit, Einzigartigkeit und Beliebtheit beitragen. In vielen Fällen handelt es sich um durch Boppards Ahnen wie Josef Syrée und Georg Francke bewusst angelegte und über Generationen gepflegte Elemente, die nach wie vor wertig und zum Beispiel für den beabsichtigten Parkcharakter eines englischen Landschaftsgartens unverzichtbar sind. Zu wünschen wäre hier eher eine Auseinandersetzung des Planungsbüros mit der Frage, wie das Bopparder Arboretum am Musikpavillon – die Sammlung exotischer Gehölze wie des Mammutbaums und der Türkischen Hasel – in Zukunft weiter fortgeführt werden kann, da Bäume zunehmend unter Klimastress leiden und erst im Oktober die Amerikanische Roteiche gefällt wurde.

Was steht stattdessen im Mittelpunkt des Entwurfs? Überwiegend „Natursteine“, die durch ihre euphemistische Bezeichnung suggerieren, dass man über ihre massenhafte Verlegung etwas Gutes für Klima und Ökologie tun würde. Zudem Betonstufen über eine durchgehende Länge von etwa 100 Metern, die man stattdessen gut mit Grüninseln oder hängenden Gärten in mehrere kleine Stufenpakete gliedern könnte. Dieses allgemeine Beharren auf Versiegelung kann nicht stark genug angemahnt und kritisiert werden. Ein hoher Millionenbetrag, wahrscheinlich weit über die Hälfte der auf rund 9,6 Millionen Euro geschätzten Gesamtkosten, würde in ein Meer aus Steinen und Beton, in eine wissenschaftlich belegte Verschlechterung der Stadt investiert werden. Der jetzt zur Abstimmung stehende Vertrag geht ausgerechnet noch weiter als der Wettbewerbsentwurf in Richtung Versiegelung und „kärcherfähige“ Sterilität, denn statt eines ungebundenen Pflasterbelags soll nun generell eine gebundene Bauweise (bei der auch die Pflasterfugen mit Zement verschlossen werden) gewählt werden. Dadurch entsteht wiederum ein Aufpreis von 72 € pro Quadratmeter. Es sind Gelder, die viel sinnvoller eingesetzt werden könnten – gerade vor dem Hintergrund, dass man heute weiß, dass jeder in Klima- und Naturschutz investierte Euro der Gesellschaft einen vielfach höheren Wert zurückgibt. Hier wie überall muss das Ziel umgekehrt lauten: Wie erreicht man eine größtmögliche begrünte und unversiegelte Fläche? Nicht die Baumpflanzung muss ihre Notwendigkeit begründen, sondern jeder einzelne Quadratmeter Versiegelung oder Bebauung!

Durchaus enthält der Entwurf auch ein paar gute Ideen, etwa das Zugänglichmachen des alten Leinpfades und der seitlich der Promenade liegenden Rampen, die vergleichsweise zurückhaltend dimensionierte Bühne und den Grundgedanken, mit zumindest einmal zwei Baumpflanzungen vor der Burg die größte städtebauliche und ökologische Schwachstelle der heutigen Rheinallee (siehe dazu S. 79 der oben genannten Studie) aufzulockern. Natürlich steht auch außer Frage, dass eine städtische Promenade ihre befestigten Wege und Flächen zum Versammeln, Sitzen (sowohl für die Gastronomie als auch für Flaneure) und zur Nutzung bei Ereignissen wie einem Feuerwerk oder dem Zwiebelmarkt braucht. Wir Grüne können aber nicht nachvollziehen, weshalb der in den letzten Jahrzehnten verfügbare Anteil nicht ausgereicht haben und nun wieder einmal auf Kosten öffentlichen Grüns derart ausgeweitet werden soll. Welche Gründe rechtfertigen dies angesichts der ausgeführten Klimaproblematik?

Und ja, selbstverständlich bröckelt an so einigen Stellen der Rheinanlagen der Putz – hier hat wohl niemand etwas dagegen, den alten Belag genau dort durch einen neuen zu ersetzen und die Ufermauern zu ertüchtigen (dieses sehr kostspielige Unterfangen ist übrigens nicht Inhalt der Umgestaltung und muss extra beauftragt und bezahlt werden). Auch der Wunsch, mal etwas Neues zu sehen und frischen Wind reinzubringen, ist völlig nachvollziehbar – dass dazu aber nicht der erhaltene Bestand großflächig über Bord geworfen werden muss, belegt die kürzlich in den Oberen Rheinanlagen eröffnete und sich gut einfügende Ausstellung „outside RHEINside – Kunst am Fluss“ des Museums Boppard. Und zuletzt ist auch richtig, dass manch eine Grünfläche überarbeitet werden sollte – etwa der Karmeliterplatz, der über Jahrzehnte für Stellplätze geopfert und vernachlässigt wurde, indem z. B. Autos bis auf die Wurzeln fahren können und abgegangene Bäume nicht nachgepflanzt wurden. Ein solcher Ort sollte aber wieder zu einem öffentlichen grünen Platz mit klugem Gartenkonzept und nicht zu einer baumarmen kommerzialisierten Fläche entwickelt werden, auf der man sich nur aufhalten kann, wenn man etwas konsumiert.

Bei von der Allgemeinheit beauftragten und bezahlten Projekten sollten wir den Anspruch haben, dass das Ergebnis langfristig – also durchaus 70 Jahre – zufriedenstellt und der Öffentlichkeit nutzt. Eine folgenschwere Ressourcen- und Geldverschwendung (noch dazu bei Boppards hoher Verschuldungsrate) wäre es, nach fünf bis zehn Jahren schmerzhaft erkennen zu müssen, dass die umgestalteten Bereiche den Erwartungen der Nutzer nicht gerecht werden, Probleme bereiten und man wieder nachbessern muss.

Dabei lohnt sich auch ein Blick auf die Referenzen des siegreichen Planungsbüros. In Bad Lippspringe, einer Stadt bei Paderborn mit fast gleicher Einwohnerzahl wie Boppard, hat dieses Büro im Jahr 2015 für zwei Millionen Euro den Marktplatz umgestaltet. Dabei wurde offenbar so großflächig gepflastert und so wenig begrünt, dass die Aufenthaltsqualität darunter leidet und der Seniorenbeirat in diesem Jahr eine erneute Umgestaltung zur Diskussion gestellt hat (vgl. Karenfeld, Klaus: Der Marktplatz in Bad Lippspringe soll aufgewertet werden, in: Neue Westfälische, Online-Zeitungsartikel vom 16.1.2022). Auch seitens der Bad Lippspringer Stadtverwaltung heißt es: „[Die] erhoffte Belebung des zentralen Platzes blieb bis dato leider aus.“ (vgl. https://www.unser-bali.de/node/1773 ).

Es droht sich bei der Rheinallee-Umgestaltung folgende Szene abzuspielen: Ohne viel Aufsehen, Diskussion und Beteiligung der Öffentlichkeit wird wohl in der Stadtratssitzung vom 19. Dezember das vorbezeichnete Planungsbüro mit der 1. Leistungsphase (darunter Entwurfs- und Genehmigungsplanung) beauftragt. Aufgrund des seitens der Stadt Boppard nach wie vor gesendeten Signals, dass man von den Wettbewerbsentwürfen im Kern begeistert sei, wird das Büro bei der weiteren Planung an genau den hier kritisierten Inhalten festhalten und diese vertieft ausarbeiten. Dabei spart es doch allen Beteiligten viel Geld, Mühen und Zeit, wenn der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer so früh wie möglich klarstellt, dass erhebliche Änderungen gewünscht sind. Nicht zuletzt bemessen sich daran auch die späteren Gesamtkosten und die Honorare – je weniger Versiegelung wir in Auftrag geben und stattdessen mit Erdboden bedeckt lassen oder neu bedecken, umso geringer unsere Ausgaben!

Momentan haben wir Grüne den Eindruck, dass die Kritiker des gegenwärtigen Vorgehens von den Befürwortern in Rat und Verwaltung mit den Worten beschwichtigt werden, man könne ja in den nächsten Planungsabschnitten immer noch Einfluss nehmen, diskutieren, die Bürger beteiligen und Inhalte verändern; jetzt solle man erst einmal die Füße stillhalten und schauen, was bei der Entwurfsplanung herauskommt. Ist dieser Zeitpunkt aber gekommen, wird es heißen, nun sei es für große Änderungen zu spät, man habe schon Gelder ausgegeben und könne sich eine Umplanung nicht mehr erlauben. Wer dann einen sensibleren Umgang mit der heute vorhandenen Substanz und mehr Grün einfordert, wird von der Mehrheit der Entscheidungsträger dann lediglich noch als Störenfried wahrgenommen, ihm wird vorgeworfen werden, das Projekt zu verzögern, ihm wird die Schuld dafür gegeben werden, dass der Zeitplan bis zur Bundesgartenschau 2029 womöglich nicht eingehalten werden kann, dass Fördermittel verstreichen würden. Wer nimmt das schon gerne auf sich? Der Stadtrat wird vielleicht noch über aufzustellende Fitnessgeräte und Form und Farbe des Geländers diskutieren (durchaus auch wichtige Themen), dann aber ermüdet und genervt reagieren, wenn länger als fünf Minuten über Klima- und Umweltbelange gesprochen wird.

Noch sind wir in einer frühen Phase dieses Großprojektes. Noch sind Änderungen möglich – doch sollten diese auch zeitnah von Rat und Verwaltung gefordert werden. Hierbei sollte die Stadt auch auf die von Herrn Dr. Schultheiß angebotene Beratung durch die Hochschule Geisenheim zurückgreifen. Es geht nicht um Kinkerlitzchen und Detailfragen, sondern um grundlegende Planungsänderungen für große Flächen und ganze Plätze. Das ist es, was wir Grüne hiermit öffentlich einfordern und wovor wir warnen, sollten diese Änderungen nun weder am 19. Dezember noch in den kommenden Phasen beschlossen werden. Lassen wir uns nicht den Rang ablaufen und seien wir nicht die letzte Stadt, die auf überkommenen Kriterien beharrt, welche unsere Klimaproblematik noch verstärken. Bitte verfolgen Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, den Prozess der Rheinallee-Umgestaltung aufmerksam und kritisch und melden Sie sich mit Ihren Erwartungen zu Wort!

Der Stadtverband Mittelrhein von Bündnis 90/Die Grünen

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